30.01.2023 / Artikel aus PKF Nachrichten 02/2023
von RA Prof. Heiko Hellwege

Zwischen Unternehmen findet Schriftverkehr mittlerweile überwiegend per E-Mail statt. Aber Achtung: E-Mails gehen schnell an den Empfänger und entfalten Bindungswirkung, die oftmals nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Dies zeigt eindrucksvoll ein aktuell vom BGH entschiedener Fall, in dem ein Vergleichsangebot kurze Zeit später widerrufen wurde – ohne Erfolg.

Sachverhalt: Zurückgezogenes Vergleichsangebot

Ein Unternehmen unterbreitete wegen einer streitigen Forderung seinem Kunden mit E-Mail um 9:19 Uhr ein Vergleichsangebot. Einige Minuten später reute den Verfasser dieses Angebot und er widerrief es mit E-Mail von 9:56 Uhr. Der Kunde zahlte den Vergleichsbetrag eine Woche später und weigerte sich, die weitergehende Forderung zu zahlen.

BGH-Entscheidung: Wirksamkeit des Erstangebots

Der BGH gab dem Kunden mit Urteil vom 5.9.2022 (Az.: VII TR 895/21) Recht. Denn um 9:19 Uhr, mit Eingang auf dem Server des Empfängers, sei das Vergleichsangebot zugegangen und nach Zugang könne eine Willenserklärung nicht mehr widerrufen werden. Mit seiner kommentarlosen Zahlung des Vergleichsbetrags eine Woche später habe der Kunde das Vergleichsangebot konkludent, rechtzeitig und wirksam angenommen. Der Vergleich sei damit zustande gekommen. Auf den Mehrbetrag habe das klagende Unternehmen daher verzichtet.

Der BGH hat damit die bislang nicht höchstrichterlich geklärte Frage entschieden, wann eine E-Mail dem Empfänger zugeht. Danach gilt eine E-Mail jedenfalls dann, wenn sie im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem zur Korrespondenz genutzten Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, grundsätzlich in diesem Zeitpunkt als zugegangen. Es kommt also nicht darauf an, wann die E-Mail gelesen wird. Anders liegt der Fall, wenn die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht: Dann findet – so kann man schlussfolgern – der Zugang erst am nächsten Geschäftstag statt. Sofern im vorliegenden Fall der Verfasser das Vergleichsangebot zu nachtschlafender Zeit ausgesandt und dann gleich frühmorgens widerrufen hätte, wäre es noch möglich gewesen, das E-Mail- bzw. das Vergleichsangebot wirksam innerhalb von ein paar Minuten zurückzuziehen.

Die Folgen für die Praxis

Auch wenn eine E-Mail grundsätzlich noch zurückgezogen werden kann, verbleibt ein Risiko, weil der Versender nachweisen muss, ob und wann die E-Mail tatsächlich auf dem Server des Empfängers eingegangen ist. Im Urteilsfall spielte dies keine Rolle, da der Empfänger sich gerade auf den Eingang der E-Mail zu einer bestimmten Zeit auf seinem Server berief und der Versender auf seine kurz vorher versandte E-Mail Bezug nahm. 

Eine interessante Randfrage stellt sich für Erklärungen, die nicht in der E-Mail selbst, sondern in einem Anhang, etwa als PDF, hierzu enthalten sind. Das OLG Hamm hat sich in einer Entscheidung vom 9.3.2022 (Az.: 4 W 119/20) in einer Wettbewerbssache auf den Standpunkt gestellt, dass mit einer E-Mail von einem bis dato unbekannten Versender ohne klaren Betreff und ohne eine sprechende Bezeichnung des Anhangs überhaupt kein Zugang bewirkt sei. Im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt werde, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, könne von dem Empfänger nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen. Das klingt plausibel und sollte Anlass geben, im Ernstfall die Nachricht direkt (ggf. zusätzlich) in den Fließtext des Mailprogramms aufzunehmen.

Empfehlung: Um bei knappen Fristen in wichtigen Angelegenheiten einen Nachweis der Zustellung erbringen zu können, bleibt das klassische Einschreiben oder wenigstens die elektronische Lesebestätigung (die aber vom Empfänger abgeschaltet werden kann) das Mittel der Wahl.

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