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Gesetzliche Erbfolge trotz Testaments – Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten

Errichtet der Erblasser kein Testament, tritt die gesetzliche Erbfolge ein, sodass der Nachlass an die Verwandtschaft - vorrangig die Abkömmlinge - und ggf. an den Ehegatten geht. Oftmals wird der Erblasser aber ein großes Interesse daran haben, von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen und seinen Nachlass selbstbestimmt zu verteilen. Außerdem sollen häufig neben der Vermögensverteilung weitere Aspekte geregelt werden, wie z. B. die Anordnung einer Testamentsvollstreckung zum Schutz minderjähriger oder behinderter Abkömmlinge. In all diesen Fällen muss ein Testament errichtet werden. Aber selbst bei Errichtung eines Testamentes sind Fälle denkbar, in denen gleichwohl die gesetzliche Erbfolge eintritt und die in der Regel sorgfältig überlegten Gestaltungswünsche des Erblassers im Sande verlaufen.

Dies veranschaulicht der aktuelle Beschluss des OLG Stuttgart vom 14. Mai 2018 (8 W 340/16) in drastischer Weise. Der Erblasser hatte vor seinem Tod seine fünf bis dahin geborenen Kinder aus vorherigen Ehen als Erben eingesetzt. Zum Zeitpunkt seines Todes im Dezember 2015 war seine damalige Ehefrau schwanger. Das Kind wurde im Juni 2016 geboren. Die Ehefrau hat das Testament daraufhin für ihr Kind mit dem Argument angefochten, mit ihrem Kind habe der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten übergangen. Dieser Beschluss ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen sieht § 2079 S. 2 BGB vor, dass eine Anfechtung nicht möglich ist, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis des zur Anfechtung berechtigenden Umstandes so verfügt hätte. Über diesen Punkt haben die Beteiligten heftig gestritten. Das OLG hielt die Anfechtung für wirksam, obwohl der Erblasser von der Schwangerschaft wusste! Daran sieht man, wie wichtig die genaue Formulierung von Testamenten ist, um solchen Auslegungsproblemen aus dem Weg zu gehen. Zum anderen hat das OLG die in Rechtsprechung und Fachliteratur umstrittene Auffassung bestätigt, dass die Anfechtung die Gesamtnichtigkeit des Testamentes zur Folge hat und nicht etwa nur dazu führt, dass der übergangene Pflichtteilsberechtige quasi fiktiv ergänzt wird. Mit der Anfechtung können daher unter Umständen wichtige begleitende Anordnungen wie die oben erwähnte Testamentsvollstreckung ebenfalls hinfällig werden.

Fazit: Wird nach der Errichtung des Testaments durch den Erblasser eine weitere Person pflichtteilsberechtigt, sei es durch Geburt eines Kindes oder durch Eheschließung des Erblassers, oder wird dem Erblasser ein Pflichtteilsberechtigter bekannt, von dem er bei der Errichtung des Testaments nichts wusste, sollte er sich notariell beraten lassen, um die Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich seiner Vermögensverteilung im Todesfall wahrzunehmen, die seinem „letzten Willen“ entsprechen, und um ein Zurückfallen auf die gesetzliche Erbfolge zu vermeiden.

 

Dr. Herbert Buschkühle ist Rechtsanwalt/Steuerberater/Notar/ Fachanwalt für Steuerrecht/Fachanwalt für Erbrecht bei der PKF WMS Rechtsanwälte Steuerberater Dr. Stein & Dr. Buschkühle PartG mbB, Kooperationspartner der PKF WMS Bruns-Coppenrath & Partner mbB Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberater Rechtsanwälte (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).

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